Vor 50 Jahren – am 29. November 1973 – wurde die Fristenregelung im österreichischen Nationalrat beschlossen. Aus diesem Anlass möchte das Salzburger Ärzteforum für das Leben in besonderer Form über die Situation von Frauen / Paaren in Schwangerschaftskonfliktsituation in Österreich nachdenken:

In den letzten Wochen haben öffentliche Stellungnahmen aufhorchen lassen: diese reichten von der Forderung, den Tatbestand einer Abtreibung aus dem Strafgesetzbuch zu entfernen, Frauen endlich zu ihrem „Recht auf Abtreibung“ zu verhelfen, indem diese „medizinische Leistung“ in allen öffentlichen Krankenanstalten auf Krankenkassenkosten zu erbringen sei, bis zur Feststellung, dass Ärzte sich ihrer Verantwortung nicht weiter entziehen sollten – eine Ablehnung aus Gewissensgründen sei inakzeptabel.

Als Ärztinnen und Ärzte möchten wir die Gesamtthematik zunächst einem Fakten-Check aus medizinisch-naturwissenschaftlicher Sicht unterziehen:

  1. Unabhängig davon, welchen Zeitpunkt man in der embryonalen bzw. fetalen Entwicklung als Beginn des menschlichen Lebens bzw. des Menschseins ansieht – so bleibt doch eine Tatsache unbestritten bestehen: Durch eine Abtreibung wird dem sich entwickelnden Lebewesen verwehrt, geboren zu werden und ein Leben als Mensch führen zu können.
  1. In den letzten 5 Jahrzehnten dürften im Schnitt ca. 30.000 Abtreibungen pro Jahr erfolgt sein: Somit haben ca. 1,5 Millionen Menschen in Österreich weniger das Licht der Welt erblickt – diese wären nun im Alter zwischen 0 und 50 Jahren. Vor dem Hintergrund der aktuellen demographischen Situation mit allen Folgeerscheinungen und -problemen muss man nüchtern feststellen, dass diese 1,5 Millionen jungen, berufstätigen Menschen in Österreichs Bevölkerungspyramide definitiv fehlen.
  1. Viele Frauen und Paare in Schwangerschaftskonfliktsituation, welchen eine Abtreibung als einzig mögliche Option erschien, haben unter den Folgen der Abtreibung u.U. auch noch nach Jahrzehnten zu leiden. Die Tatsache, dass Schwangerschaftsabbrüche zu psychosomatischen Beschwerden führen können, ist mittlerweile unbestritten. Für diese Frauen / Paare hat sich mit der „Lösung“ eines Problems ein anderes ergeben. Abtreibung ist für viele Paare höchstens die zweitbeste Option.
  1. Mit den fortentwickelten Methoden der Pränataldiagnostik ist eine Frühdetektion von genetischen Defekten und schweren Erkrankungen immer exakter möglich. Von der rechtlichen Option, im Falle einer drohenden schweren Erkrankung oder Behinderung eine Abtreibung zeitlich uneingeschränkt durchzuführen bzw. durch Präimplantationsdiagnostik Embryonen gezielt zu selektieren, wird gerade in den letzten Jahren mehr und mehr Gebrauch gemacht. Leben mit Behinderung wird durch Früherkennung, Selektion und Fetozid zunehmend verhindert.

Berücksichtigt man diese Fakten jedoch kategorisch und konsequent nicht, so ergibt sich freilich eine andere Sichtweise und Argumentationslinie mit einer logischen Kaskade an Forderungen:

  1. Straffreiheit und medizinische Sicherheit:

Waren vor 1973 Abtreibungen illegal, wurden Frauen und Ärzte mit Strafe bedroht und waren die medizinischen Bedingungen häufig fragwürdig und gesundheitsgefährdend, so ergab die Einführung der Fristenregelung eine Straf-Freistellung unter bestimmten Bedingungen und gleichzeitig die Möglichkeit, der medizinisch korrekten Durchführung eines Abbruches.

  1. Abtreibung als seltene Ausnahmeoption:

Laut Aussagen Bruno Kreiskys lag die Intention darin, durch „flankierende Maßnahmen“ möglichst viele Frauen / Paare so gut wie möglich zu unterstützen, damit ein „Ja“ zu ihrem ungeborenen Kind möglich und somit die Option einer Abtreibung möglichst selten gewählt werden sollte. (Bis heute blieb die Politik eine konsequente Umsetzung dieser Begleitmaßnahmen und ein klares Bekenntnis zum Ziel, Frauen / Paare und Kinder vor Abtreibungen zu bewahren, schuldig.)

  1. Abtreibung als Zeichen der Emanzipation:

Gerade von frauenpolitischer Seite wurde die Einführung der Fristenregelung als Erfolg in Richtung sexueller Unabhängigkeit und Emanzipation gefeiert. Frauen in Schwangerschaftskonflikten zur Mutterschaft zu bestärken und die Umsetzung durch „flankierender Maßnahmen“  zu unterstützen, schien den feministischen Zielen fundamental zu widersprechen.

  1. Von der Ausnahme zur Routine:

Unter diesem Aspekt wurden Abtreibungen in der Folge nicht als seltene Eingriffe durchgeführt – in der Realität zeigte sich, dass sich das Verhältnis der Abtreibungs- zur Geburtenrate bei vermutlich ca. 1:2 einpendelte. (Eine statistische Erfassung der Zahlen in Österreich wurde jedoch seit Jahrzehnten vehement abgelehnt und verhindert.)

  1. Abtreibung endlich erlaubt:

Angesichts der hohen Abtreibungszahlen wurden vor dem Hintergrund der Straffreiheit rasch in der Bevölkerung Schwangerschaftsabbrüche als „erlaubt“ – also „legal“ empfunden. (Dass der Gesetzgeber ungeborenes Leben bis heute als grundsätzlich schützenswert ansieht und diesem ein Lebensrecht zuspricht und daher Abtreibung weiterhin ein strafrechtliches Delikt darstellt, welches lediglich unter bestimmten Bedingungen straffrei gestellt ist, trat mehr und mehr in den Hintergrund.)

  1. Recht auf Abtreibung – Recht auf reproduktive Gesundheit:

Aus der Gewohnheit entwickelte sich in weiterer Folge ein Gewohnheitsrecht, welches immer vehementer eingefordert wird: ein „Recht auf Abtreibung“ wurde im Kontext mit dem „Recht auf Selbstbestimmung“ der Frauen über ihren Körper und ihr Leben postuliert und mittlerweile auch in internationalem Gremien wie der UNO und dem Europäischen Parlament unter dem Begriff des „Rechtes für Frauen auf reproduktive Gesundheit“ argumentativ übernommen.

  1. Manipulative Sprache: Richtige Diktion – kein Konflikt:

Mit der geeigneten Diktion (wie: „Schwangerschaftsgewebe“, „Beendigung der Schwangerschaft“) wird Abtreibung begrifflich entschärft und lässt sich die Konfliktsituation scheinbar ganz von selbst lösen, wie dies der Begriff „Fristenlösung“ suggeriert.

(Dass in Wahrheit in jedem Schwangerschaftskonflikt 2 Rechte – das des Ungeborenen auf Leben und das der Frau auf Selbstbestimmung – aufeinanderprallen und sich angesichts dieser Realitäten dadurch unweigerlich eine klassische Dilemma-Situation ergibt, ist eine Tatsache, die man anerkennen und der man sich stellen muss. Die Option einer Konfliktlösung durch maximale lebensbejahende Unterstützung der Frauen und Paare erscheint obsolet und nicht vereinbaren mit den Frauenrechten.)

  1. Abschaffung des § 96 und 97 des StGB:

Einem postulierten „Recht auf Abtreibung“ widerspricht in logischer Konsequenz ein strafrechtliches Verbot derselben. Aus dieser Perspektive ist die Forderung, Paragraph 96 und 97 des StGB zu streichen, logisch nachvollziehbar.

  1. Pflicht des Gesundheitssystems zur flächendeckenden Versorgung mit Abtreibungsambulanzen:

Wo ein Recht – da auch eine Pflicht: Ein „Recht auf Abtreibung“ würde gleichzeitig eine Verpflichtung der Politik und des Gesundheitssystems darstellen, diese „medizinische Leistung“ flächendeckend und kostenlos in allen Institutionen des öffentlichen Gesundheitswesens anzubieten.

  1. Abschaffung der politischen Pflicht, lebensbejahende Beratung und Unterstützung zu fördern:

Andererseits würde sich nach Streichung des Abtreibungstatbestandes aus dem StGB ergeben, dass die bisherigen Pflichten, Ungeborenen durch ein optimales Angebot von Beratung und konkreter Hilfe wo möglich zum Leben zu verhelfen, von staatlicher Seite nicht mehr (noch weniger als bisher) wahrgenommen werden müssten.

  1. Abschaffung der Gewissensfreiheit für medizinisches Personal:

Ein „Recht auf Abtreibung“ zöge weiters eine Infragestellung der Gewissensklausel für medizinisches Personal nach sich: es gäbe keinen legitimen Grund, Frauen ihr „Recht“ aus persönlichen Gewissensgründen zu verwehren.

  1. Einschränkung der Meinungsfreiheit – Verbot abtreibungskritischer Äußerungen:

Nach Etablierung eines „Rechtes auf Abtreibung“, Entfernung der § 96 und 97 aus dem StGB, Etablierung flächendeckender kostenloser Abtreibungen, Abschaffung der Gewissensklausel für Ärzte und Pflege, wäre in logischer Konsequenz auch mit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit im öffentlichen Diskurs zu rechnen: Abtreibung als Unrecht oder gar Tötung eines Menschen in seiner ersten Entwicklungsphase zu bezeichnen, müsste als intolerant, frauenfeindlich und unmenschlich empfunden und daher mit einem Verbot belegt werden. (Bereits heute werden kritisch Nachdenkende im öffentlichen Diskurs gerne dadurch geächtet, indem sie als „ultrakonservativ“ bzw. „fundamentalistisch“ bezeichnet, diffamiert und somit leicht mundtot gemacht werden.)

Angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahrzehnten ist ein sachlicher, faktenbezogener Diskurs abseits von ideologischen Gräben immer schwieriger geworden – aber dennoch für uns als Ärztinnen und Ärzte die einzig sinnvolle Option.

Aus Sicht des Salzburger Ärzteforums sind folgende Punkte daher wesentlich:

  1. Eine Schwangerschaftskonfliktsituation muss als das angesehen werden sehen, was sie ist: eine der wohl herausforderndsten Krisen für die betroffene Frau bzw. das betroffene Paar. Diese betroffenen Menschen haben das Recht auf eine umfassende, alle Optionen einbeziehende Beratung und ein vielfältiges Angebot langfristiger Unterstützungs- und konkreter Hilfsmaßnahmen, die auch eine Entscheidung für das Kind ermöglichen.
  1. Abtreibung kann für manche Frauen / Paare eine Option sein, diesen Konflikt zu beenden. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte hat aber auch gelehrt, dass z.T. schwere und langjährige psychosomatische Beschwerden nach Abtreibungen auftreten können – dieses Faktum gilt es als Tatsache ebenso zu respektieren.
  1. Für viele Frauen / Paare ist daher eine Abtreibung nicht die für sie beste Lösung. Diese bestünde für sie in der erfolgreichen Auflösung des Schwangerschaftskonfliktes, indem sie sich aufgrund einer maximalen Unterstützung für das Kind entscheiden könnten. Dafür bedarf es eines klaren politischen Bekenntnisses, um von öffentlicher Seite personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
  1. Um Prävention, Beratung und Unterstützung effektiver und bedarfsorientierter gestalten zu können, wäre eine statistische Erfassung und Auswertung aller erhebbaren psychosozialen und medizinischen Fakten notwendig – eine Forderung, welche wir auch nach Jahrzehnten nicht müde werden zu wiederholen.
  1. Die Option der gezielten Abtreibung von behinderten Menschen bis in die Spätschwangerschaft stellt eine Selektion, eine gravierende Benachteiligung, Diskriminierung und Stigmatisierung behinderter Menschen sowie einen massiven Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz dar.

Der Themenkomplex rund um Schwangerschaftskonflikt und Abtreibungen hat nichts an Komplexität und Aktualität verloren – ein nüchterner Blick auf Tatsachen und Realitäten, ein respektvoller Gedankenaustausch und differenzierter öffentlicher Diskurs über ideologische Grenzen hinweg ist anlässlich dieses Gendenkjahres 1973-2023 mehr denn je erforderlich.

Dr. Florian Baumgartner

für das

Salzburger Ärzteforum für das Leben

Stellungnahme